Da ich von der Tschernobyl-Tour mehr als begeistert bin, lasse ich mich von Dominik gerne überreden, an dieser zusätzlichen Tour teilzunehmen. Außer mir sind noch Henry und die beiden Slowaken mit dabei, dazu wieder Kolja als Fahrer und Dominik. Was ich allerdings nicht wusste ist, dass die Raketenbasis sich etwa auf halber Strecke zwischen Kiew und Odessa befindet, wir also fast 3,5 Stunden im Auto sitzen, von denen ich bestimmt die Hälfte verschlafe, letzte Nacht haben mich wieder die Moskitos genervt.
Das Wetter ist mies, es regnet und es ist saukalt, wir hatten in Tschernobyl ziemliches Glück. Irgendwann kommen wir an und werden von einer jungen Führerin empfangen, die ausgezeichnetes Englisch spricht. Zuerst erfahren wir in dem überirdischen Teil der Anlage etwas über die Geschichte und die verwendete Technik. Bis zum Ende der Sowjetunion waren hier ein gutes Dutzend Silo-basierter Interkontinentalraketen in Bereitschaft, welche Ziele anvisiert waren, wussten die dort stationierten Soldaten nicht. Die Kommandozentrale war ebenfalls in einem unterirdischen Silo eingerichtet, dazu gibt es überirdisch extreme Sicherheitseinrichtungen mit Sensoren und Elektrozäunen, ausserdem Einrichtungen zur Versorgung der Anlage. So wurden z.B. die Silos mit Eis gekühlt, damit die amerikanischen Satelliten die Anlage nicht anhand des thermischen Fingerabdrucks erkennen konnten. Unglaublich. Dementsprechend hoch war der Energiebedarf.
Im Laufe der Jahre enthielten die Silos verschiedene Raketen, zuletzt den Typ SS-18, von den Amerikanern wegen der schwarzen Farbe ‚Satan‘ genannt. Dies sind die größten während des Kalten Krieges in Betrieb gestellten Interkontinentalraketen, sie konnten bis zu 10 MIRV-Sprengköpfe zu je 2 Megatonnen Sprengkraft über 11.000 km transportieren. Eine einzelne dieser Raketen hatte damit eine Sprengkraft von 20 Megatonnen, das ist mehr als 1.500 mal Hiroshima. Und Russland hatte insgesamt 2.700 davon.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion blieb die Ukraine auf einem Teil davon sitzen, in den 90ern verpflichtete man sich, die Waffen zu demontieren, was mittlerweile komplett erledigt ist. Bezahlt hat das zum größten Teil die USA.
Nach den sehr guten und ausführlichen Erklärungen gehen wir nach draußen, wo wir diverse Raketen, Fahrzeuge zum Transport dieser, Panzer und sonstiges Militärmaterial sehen. Wir erfahren mehr über das Sicherheitssystem und sehen in einem der Versorgungsgebäude gigantische Kühler, die das erwähnte Eis produzierten. Auf den zeitgenössischen Landkarten war die Anlage übrigens als Kindererholungsheim markiert. Da sage einer, die Sowjets hätten keinen Humor gehabt.
Schliesslich geht es durch einen langen Tunnel in das Herz der Anlage, das Kontroll-Silo. Wir müssen durch zwei 30cm dicke Stahltüren und fahren dann mit einem winzigen Aufzug nach unten. Die Kommandoeinheit besteht aus 13 Stockwerken, von denen die oberen 11 Technik enthalten, dann kommt der Kommandostand und darunter ein Aufenthaltsraum mit zwei Betten, einer Toilette und einer winzigen Küche. Durchmesser des Silos geschätzt 3 Meter. Es hatten immer zwei Offiziere Dienst, die sich am Kommandostand abwechselten. Wer am Drücker saß musste während des gesamten 6stündigen Dienstes alle 7 Sekunden eine bestimmte Startsequenz durchführen (Knopf drücken und Schlüssel drehen), so wurden die Soldaten programmiert, auch im Ernstfall ganz automatisch die Raketen zu starten.
Wir dürfen dann auch mal auf den Sitz und starten so simuliert 10 Raketen, die geschätzt halb Europa in eine Wüste verwandelt hätten. Kein schönes Gefühl. Danach futtern wir noch einen Topf Flusskrebse, die Dominik mitgebracht hat und machen uns auf den Rückweg.
Die tatsächliche Tour hat nur knapp 2 Stunden gedauert, trotzdem hat sich die weite Anfahrt gelohnt, soweit ich weiss, ist diese Anlage die einzige ihrer Art weltweit. Kalter Krieg aus erster Hand.
Das Detail der ‚Eiskühlung‘ finde ich bemerkenswert. Was für eine Verschwendung, hätte man doch damit etliche Biere kaltgekriegt..in dem Sinne (ich mach gerade eins auf) und nochmals Dank für die Verlinkung.
PS: Ich hab ne ReisePhobie. Wahrscheinlich mag ich TravelBlogs deshalb besonders gern^^
das Eis sollte übrigens im Erstfall auch der Besatzung als Trinkwasservorrat dienen. Und wäre bei den dann zu erwartenden Aussentemperaturen sicher auch schnell geschmolzen…
kein Problem, Danke fürs Interesse!